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Die von-Neumann-Architektur ist Grundlage jedes handelsüblichen Computers. Über den Mann, der ihr seinen Namen gab, wurden Bücher mit wundersamen Anekdoten über seine erstaunlichen mathematischen Fähigkeiten, aber auch seine politische Skrupellosigkeit geschrieben. Sein Lebenswerk ist aufgrund seiner aktiven Mitwirkung am Bau von Maßenvernichtungswaffen jedoch nicht unumstritten. Doch gleichgültig, wen man fragt, ob Bewunderer oder Kritiker, Fakt bleibt, daß John von Neumanns Genialität der Computerentwicklung einen entscheidenden Impuls gegeben hat.
Der gebürtige Ungar galt bereits früh als Wunderkind. Als er die Mathematik zu verstehen begann, eröffnete sich ihm eine neue Welt. Besonders die Logik hatte es ihm angetan. Noch als Teenager schrieb er seine erste mathematische Veröffentlichung. Entsprechend seinen überragenden Talenten verlief auch seine universitäre Karriere. Zeitgleich mit seinem Abschluß als Chemieingenieur in Zürich erwarb er seinen Doktortitel in Mathematik an der Universität in Budapest. Schnell überflügelte von Neumann seine Kollegen. Einige Professoren fürchteten seine außerordentliche mathematische Begabung. Einer bemerkte: Wenn ich während einer Vorlesung ein ungelöstes Problem erwähnte, standen die Chancen gut, daß er nach der Vorlesung mit einer vollständigen Lösung zu mir kam, die er auf einem Stück Papier hingekritzelt hatte. Nachdem er 1929 von der Universität in Princeton zu einer Vortragsreihe eingeladen worden war, beschloß von Neumann, seine Karriere in den USA fortzusetzen. Das Land und die Lebensart der Menschen gefielen ihm, die aufstrebenden amerikanischen Universitäten versprachen Wissenschaftlern seines Formats attraktive Bedingungen. Auch aufgrund der zunehmend antisemitischen Stimmungslage gab er seine akademischen Positionen in Deutschland auf. Was als Besuch geplant war, wurde zu einem lebenslangen Aufenthalt. 1933, noch vor seinem dreißigsten Geburtstag, wurde er Professor am renommierten Institute of Advanced Study in Princeton.
Der Krieg in Europa sollte der Karriere des jüdischen Mathematikers eine neue Richtung geben. 1941 hatte Präsident Roosevelt mit einem Budget von 2 Milliarden Dollar den Auftrag zum Bau einer nuklearen Waffe erteilt. Eingeladen von dem wissenschaftlichen Leiter des Manhattan-Projekts, Robert Oppenheimer, begann der ehrgeizige Akademiker ab September 1943, als Berater in Los Alamos zu arbeiten. Physiker forschten zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr intensiv über die benötigte Menge reinen Urans sowie über die mögliche Form und Größe der Bombe. Wie die meisten seiner Kollegen kannte von Neumann keine Skrupel, an dem Projekt mitzuarbeiten, das er als intellektuelle Herausforderung sah.
Die Berechnungen für die geplante Massenvernichtungswaffe erforderten komplexe mathematische Modelle. Raumfüllende Röhrenrechner halfen, die umfangreichen Kalkulationen auszuführen. Von Neumann nahm innerhalb des Projektes eine wichtige Position ein, denn er besaß die wirklich bemerkenswerte Fähigkeit, blitzschnell Berechnungen im Kopf durchzuführen, besonders wenn er Größenordnungen grob überschlug. Seinen mathematischen Ergebnissen vertrauten die Physiker, Chemiker und Mathematiker in Los Alamos. Für Amerikas wichtigstes Militärprojekt sollte von Neumann entscheidende Bedeutung erlangen, denn er entwickelte in nur wenigen Monaten die Implosionsmethode als Zündungsmechanismus für die Plutoniumbombe, die Nagasaki zerstören sollte.
Von Neumann war in Los Alamos nicht nur ein führender Mathematiker, er setzte sich ebenso für seine politischen Überzeugungen ein. Er wirkte im Target Committee daran mit, strategisch und psychologisch geeignete Ziele für die Bomben auszuwählen, die Detonationshöhe mit dem größten Zerstörungspotential zu bestimmen und die erwarteten radiologischen Effekte abzuschätzen. Das 13-köpfige Gremium beschloß im Mai 1945, welche japanischen Städte bombardiert werden würden. Als einer der wenigen Wissenschaftler setzte er sich selbst nach dem Abwurf der Atombombe für die Fortsetzung der nuklearen Waffenforschung und die Entwicklung der Wasserstoffbombe ein. Trotz der katastrophalen Konsequenzen in Japan sah von Neumann nukleare Abschreckung weiterhin als einzig wirkungsvolles politisches Mittel. Den ethischen Debatten über die Verantwortung von Wissenschaftlern angesichts des Ausmaßes der Zerstörung entzog er sich weitgehend.
Seine überragenden intellektuellen Fähigkeiten und seine Erfahrungen im Atombombenbau ließen ihn schnell erkennen, daß die Entwicklung einer thermonuklearen Bombe ohne leistungsfähige Computer unmöglich sein würde. Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen verstand er die klobigen Geräte nicht nur als bloße Rechenwerkzeuge, er sah bereits ihr Potential als universelle Maschinen. You insist that there is something a machine cannot do. If you tell me precisely what it is a machine cannot do, then I can always make a machine which will do just that.
Mit seiner Arbeitsgruppe entwickelte er die fundamentale Idee des stored program. Er veröffentlichte 1945 den First Draft of a Report on the EDVAC, in dem er detailliert die mathematisch-logische Struktur der Maschine zeigte. Die von ihm vorgestellte sogenannte von-Neumann-Architektur wurde zum Synonym für die bis heute weitverbreitete Rechnerbauweise. Er begann, seinen politischen Einfluß geltend zu machen und Gelder für den Bau von Rechnern einzuwerben. Ab Ende 1945 förderte die US-Regierung insbesondere das ENIAC-Projekt in großem Umfang, denn der Computer sollte für die Berechnungen in Los Alamos genutzt werden. Die Fertigstellung des ENIAC verzögerte sich zwar um viele Monate, dennoch wurde die erste amerikanische Wasserstoffbombe gezündet, bevor russische Wissenschaftler eine thermonukleare Waffe bauen konnten. Mit Beginn des Kalten Krieges war aus dem geachteten Akademiker, der sich selbst als violently anti-Communist bezeichnete, ein Regierungberater und Politiker geworden. Weltpolitische Entwicklungen beschäftigten ihn nun weit mehr als die wissenschaftliche Forschung. Er plante, die Entwicklung von nuklearen Raketenprogrammen und Interkontinentalraketen voranzutreiben. Ab 1953 saß er dem sogenannten Teapot Committee vor, das die Aufgabe hatte, das technologische Potential der Sowjetunion zu evaluieren und Vorschläge zur Verteidigungspolitik der USA auszuarbeiten. Den politischen Höhepunkt seiner Karriere bildete 1955 die Berufung in die Atomic Energy Commission durch Präsident Eisenhower. Die kurz darauf bei ihm diagnostizierte Krebserkrankung hinderte ihn, sein einflußreiches Amt lange ausüben zu können. Einer der brillantesten Köpfe seiner Zeit teilte sein Schicksal mit vielen Wissenschaftlern, die an der Atomwaffenforschung teilgenommen hatten. Der letzte öffentliche Auftritt des legendären Mathematikers John von Neumann fand 1956 im amerikanischen Machtzentrum in Washington, D.C., statt. Eisenhower verlieh ihm im Weißen Haus die Medal of Freedom für seine Verdienste bei der Entwicklung der Atom- und der Wasserstoffbombe. Im Februar des darauffolgenden Jahres starb der erst 53-Jährige in einem Militärkrankenhaus.
erschienen in: Die Datenschleuder, Nr. 86, 2005
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